Seid Wachsam!

Seid wachsam!

Eine Nachricht hat mich kürzlich aufhorchen lassen: Die katholischen Bischöfe Bayerns rufen zur Wachsamkeit auf. Der Hintergrund: Sie bekräftigten die Position der Deutschen Bischofskonferenz: Engagement in der Kirche und rechtsextreme Parolen gehen nicht zusammen. Sie bestätigen damit das Nein zur AfD.

 

Nein, es ist nicht die längst überfällige Positionierung der Bischöfe hinsichtlich der AfD, die mich hat aufhorchen lassen, sondern der damit verbundene Aufruf zur Wachsamkeit.

Es mag eine Grunderfahrung menschlichen Zusammenlebens sein, angesichts von Unrecht, von um sich greifendem Rassismus und der Diskriminierung von Minderheiten, von menschenverachtenden Ideologien, dass diejenigen, die dies erkannt haben, zur Wachsamkeit aufrufen. Und eben diese Erfahrung hat die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung schon vor vielen Jahren zum Ausdruck gebracht. Wachsamkeit – eine Haltung der Bürgerrechtsbewegung, um mit den zahllosen Formen des alltäglichen Rassismus, der Diskriminierung und Ausgrenzung von Minderheiten, des Unrechts und der Ungerechtigkeit umgehen zu können. Diese Haltung der Wachsamkeit hat in der englischen Sprache einen Namen: WOKENESS!

 

Für rechtsextreme Republikaner in den Vereinigten Staaten, die mehr und mehr den Ton angeben, ist wokeness zu einem Kampfbegriff geworden und zum Feind des friedlichen, gesellschaftlichen Miteinanders und Zusammenlebens uminterpretiert worden. Der unterlegene Präsidentschaftskandidat, amtierende Gouverneur von Florida und selbsternannte Vorkämpfer gegen wokeness, Ron DeSantis, hat diesem vermeintlichem Feind des friedlichen gesellschaftlichen Zusammenlebens den Kampf angesagt und eine Reihe von Gesetzen auf den Weg gebracht, die üblicherweise mit autoritären Regimen in Verbindung zu bringen sind: an Schulen darf es seit zwei Jahren keine Unterrichtseinheiten mehr zu Sexualität, zu Fragen der sexuellen Orientierung geben, Schulbibliotheken dürfen keine Bücher mehr zu Fragen von Sexualität, Rassismus und der Geschichte der Afroamerikaner besitzen. Selbst das Tagebuch der Anne Frank ist aus den Schulbibliotheken verschwunden. Minderjährige dürfen keine Auftritte von Dragqueens sehen. Und die Geschichte der Sklaverei hat er umschreiben lassen als eine Zeit, in der die Schwarzen wichtige Fertigkeiten und Kenntnisse erlernen konnten! Diversity Workshops an staatlichen Universitäten sind fortan verboten. Journalisten sollen aufgrund neuer Gesetze leichter wegen vermeintlicher Verunglimpfung und Verleumdung verklagt werden können.

 

Zensur, Manipulationen im Schulunterricht, Eingriff in die Presse- und Meinungsfreiheit, Verunglimpfung von Minderheiten, vor allem von Migranten und der LGBT-Community, sind die Konsequenzen dieser populistischen Ideologie, die in wokeness den Feind des friedlichen gesellschaftlichen Miteinanders sieht.

 

Jetzt mag man der Meinung sein, dass dies für uns alles weit weg ist. Doch weit gefehlt. Inzwischen ist auch von führenden konservativen Politikern in Deutschland zu hören, dass wokeness unsere Freiheit bedrohe (!), der frühere Verfassungsschutzpräsident Maaßen spricht von „grün-woker Dominanz“ in Deutschland und der ehemalige Verkehrsminister Andy Scheuer sieht in Ron DeSantis ein Vorbild und findet es ganz toll, dass er ihn bei Besuchen in Amerika treffen und Selfies mit ihm machen konnte. Wokeness taucht immer häufiger im politischen Diskurs auch in Deutschland auf.

 

Dass Ron DeSantis sich gerne als Vorkämpfer gegen wokeness zeigt, ist ein durchschaubares, eiskaltes, machtpolitisches Kalkül, um seine Stammwählerschaft, seine Geldgeber, Sponsoren und Unterstützer bei Laune zu halten und somit die eigene Machtposition auszubauen. Und so bietet sich dieses Thema bestens an, denn es zielt auf Identität ab: Wir und die Anderen, gegen die wir uns abgrenzen und denen wir Grenzen aufzeigen müssen! Eine fatale Ideologie, die die Rechte von Minderheiten mit Füßen tritt und für unsägliches Leid sorgt, um der eigenen Machtposition willen.

 

Aber nicht wokeness bedroht unsere Freiheit, sondern wachsender Rassismus, die Diskriminierung von Minderheiten, ein zunehmender Antisemitismus und Deportationsfantasien der AfD gegenüber Millionen von Migranten. Und es ist die populistische Polemik gegen dieses so berechtigte Anliegen, wirklich wachsam zu sein, dass alle Anstrengungen für ein friedliches, gerechtes und werteorientiertes Zusammenleben untergraben werden!

 

Seid also wachsam!

 

Die bayrischen Bischöfe haben in der konkreten Frage der Unvereinbarkeit von Kirche und AfD den richtigen Weg eingeschlagen. Sie nun jedoch als Vorkämpfer für wokeness zu sehen, wäre allerdings ein zu frommer Wunsch. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

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